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Prof. Dr. med. Dr. phil. Paul Hoff (Leitung) und Dr. med. Anke Maatz MA (Post-Doc)
Psychotische Störungen, insbesondere deren gravierende
oder chronische Formen, stellen in erster Linie die betroffenen Personen,
jedoch auch die mit ihrer Behandlung betrauten Berufsgruppen vor grosse
Herausforderungen.
Im Laufe des 19. und 20. Jhs. wurde eine Vielfalt
von wissenschaftlichen Konzepten entwickelt (etwa Geisteskrankheit,
Wahnsinn, Irrsinn, Verrücktheit), die sich des Phänomens Psychose annahmen
und unterschiedlichste Vorstellungen etwa zur Ätiologie der Störung, zu ihrer
Vernetztheit mit gesellschaftlichen Rahmen-bedingungen oder der individuellen
Biographie, zu ihrem möglichen Einfluss auf die (nicht nur juristisch
verstandene) Handlungsfähigkeit oder zur Abgrenzung von gesundem und krankhaft
verändertem psychischen Erleben und Verhalten zum Ausdruck bringen. Der von
Eugen Bleuler (1857–1939) an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich
entwickelte und 1908 im Rahmen eines Vortrages Bleulers in Berlin der
wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorgestellte Begriff «Schizophrenie» und das
mit ihm verbundene Psychosekonzept setzte sich im Folgenden jedoch erstaunlich
rasch und weltweit durch. Dies gilt, unbeschadet aller jüngst laut werdenden
Kritik an Begriff und Konzept bis heute: Alle psychiatrischen Strömungen des
20. Jhs. haben mit dem Begriff «Schizophrenie» gearbeitet (Ackerknecht 1985, Berrios/Porter 1995, Janzarik 1986, Scharfetter 2006, Wallace/Gach 2008), und wegen seiner zentralen klinischen
Bedeutung spiegelt er die Bewegungen des gesamten Fachs.
Anhand der (deutsch- und englischsprachigen) wissenschaftlichen Literatur soll die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von «Schizophrenie» innerhalb der psychiatrischen und psychopathologischen Debatte seit der Einführung durch Bleuler bis heute dargestellt werden. Dabei sollen die nosologisch-diagnostische, ätiologische, therapeutische und wissenschaftstheoretische Dimension gleichermassen betrachtet und in Zusammenhang mit aktuellen Debatten etwa um das Verhältnis von Neurobiologie und biographisch-verstehbaren psychischen Inhalten, Reifizierung psychiatrischer Diagnosen sowie der in den letzten Jahren laut gewordenen grundsätzlichen Kritik am Schizophreniebegriff dargestellt werden. Menschen, die von psychischer Erkrankung persönlich betroffen sind, und diejenigen, die sie begleiten und unterstützen, sollen in diesen Forschungsprozess eingebunden und Forschungsergebnisse mit ihnen geteilt werden. Gemäss der interdisziplinären Konzeption des Projekts soll besonderes Augenmerk auf die ständige Verhandlung des Verständnisses psychiatrischer Begriffe zwischen Klinik und Gesellschaft gelegt werden.