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Prof. em. Dr. phil. Jakob Tanner (Leitung) und MA Marina Lienhard (Doktorandin)
Ausgehend von der Frage nach der Verflechtung von Schizophrenie und Politik, liegt der Fokus des historischen Teilprojekts auf der angelsächsischen sozialpsychiatrischen Forschung vom Ende der 1940er bis zum Anfang der 1980er Jahre. In diesem Zeitraum wurde Schizophrenie entindividualisiert und auf Familienkonstellationen und Gesellschaftsformen bezogen. «Schizophrenie» wurde nicht mehr (nur) in der Psyche der Individuen lokalisiert, sondern in ihren Interaktionen und in gestörten Kommunikationsmustern mit ihren Mitmenschen, insbesondere ihren engsten Verwandten.
Die Arbeit untersucht diesen konzeptionellen Wandel in seiner kulturellen, sozialen und historischen Bedingtheit. Sie zeichnet dabei die Entwicklung der Erforschung von Familien mit schizophrenen Mitgliedern nach: von ihrem Ursprung in der Psychoanalyse und ihrer besonderen Berücksichtigung der Mutter-Kind-Dyade über eine soziologisch-anthropologische Perspektive auf Familien als Systemeinheiten bis in die «Anti-Psychiatrie» mit ihrer radikalen Umwertung der Schizophrenie als Ausbruch des Individuums aus einer repressiven Gesellschaft. Besondere Berücksichtigung kommt dabei der erstaunlich breiten Rezeption dieser Forschungen in der Populärwissenschaft und ihrer Einbettung innerhalb der politischen Kultur zu.
In Familienkonzepten und in psychiatrischen Diagnosen äussern sich auf einer mikropolitischen Ebene makropolitische Vorstellungen. Das Thema eignet sich somit hervorragend zur Untersuchung der Verflechtung von Schizophrenie und Politik. Das Dissertationsprojekt reiht sich ins Feld der Wissens- und Wissenschaftsgeschichte ein, indem sie Transfers zwischen Wissenschaft und Gesellschaft untersucht. Zugleich ist sie Teil der Geschichte psychiatrischer Konzepte sowie der Familien- und Geschlechtergeschichte.
Literatur (Auswahl)