Navigation auf uzh.ch

Suche

«Schizophrenie»: Rezeption, Bedeutungswandel und Kritik

Filmwissenschaftliches Teilprojekt

«Schizophrene Bilder»: Die Krise der Wahrnehmung als Konjunktur dissoziativer Bilder – Schizophrenie als kritisches Konzept einer Medientheorie

Das Teilprojekt «Schizophrene Bilder» will untersuchen, inwiefern sich die schizophrene Erfahrung des Subjekts in der Moderne sowie seine «ambivalente Selbstbeschreibung» (Leferink 1997, 32) aus bildhaft-wahrnehmenden Komponenten speisen, die von visuellen Medien beeinflusst sind und sich umgekehrt in diesen sedimentieren. Es verfolgt dabei drei komplementäre Perspektiven:

  1. Den psychiatrischen und psychoanalytischen Diskurs zur Wahrnehmung, zur visuellen Dissoziation, zur Sinnestäuschung und zur Projektion, wie er bereits in den ersten Schizophreniekonzepten vorgelegt wird (vgl. u. a. Bleuler 1998 [1911]; Freud 1973 [1911 & 1915]; Spielrein 1987 [1911]; Tausk [1919]).
  2. Die Diskussion um die Gemälde der an Schizophrenie erkrankten Personen, die ähnlich wie Bleulers Ansatz einen Paradigmenbruch zeitigt: Ist um 1900 der psychiatrische Umgang mit Bildern durch einen assertorischen Positivismus geprägt, der den psychisch Kranken fotografisch bannt (vgl. Charcot/Richer 1988 [1887]; Didi-Hubermann 1997 [1982], Tagg 1988), interessieren sich der Psychiater Hermann Rorschach (Münsterlingen, CH), der Psychiater Walter Morgenthaler (Bern, CH) sowie der Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn (Heidelberg, D) für die Bilder, die «Geisteskranke» und insbesondere Schizophrene produzieren (vgl. Rorschach 1913, Morgenthaler 1918 & 1921, Prinzhorn 2001 [1922]).
  3. Diskurse um Spaltungsprozesse kinematografischer Bilder, wie sie in Film-/ Kinotheorie, aber auch in Filmen selbst aufgeworfen werden. Ausgehend von Prinzhorns These, dass Schizophrenie kein Bild abgibt, wohl aber Bilder produziert, scheint es angemessen, nicht nach ihren filmischen Thematisierungen zu forschen, sondern nach schizophrenen Filmen, d. h. nach Filmen, die formal, ästhetisch und inhaltlich (oder im Raum zwischen diesen Kategorien) Risse, Spaltungen, Dissoziationen, Konfrontationen, i. e. einen «schizophrenen Prozess» (Simond 2004, 8) eröffnen.

Durch diese Verquickung von Bild, Gesellschaft und Epistemologie situiert sich das Projekt im Bereich akuter Fragestellungen der Bild- und Filmwissenschaft und assoziiert sich den psychiatriehistorischen, sozial- und kulturhistorischen sowie linguistischen Erörterungen des Schizophreniebegriffs.

Zitierte Literatur

  • Bleuler, Eugen (1998 [1911]) Dementia Praecox oder Gruppe der Schizophrenien. Tübingen: Edition Diskord.
  • Charcot, Jean-Martin / Richer, Paul (1988 [1887]) Die Besessenen in der Kunst. Göttingen: Steidl.
  • Didi-Hubermann, Georges (1997 [1982]) Erfindung der Hysterie. München: Fink.
  • Freud, Sigmund (1973 [1911]) «Psychoanalytische Bemerkungen über einen autobiografisch beschriebenen Fall von Paranoia (Dementia paranoides)». In: Ders. Studienausgabe Bd. XII. Frankfurt a.M.: Fischer, S. 133–203.
  • Freud, Sigmund (1973 [1915]) «Das Unbewusste». In: Ders. Studienausgabe Bd. XII. Frankfurt a.M.: Fischer, S.119–173.
  • Leferink, Klaus (1997) «Sympathie mit der Schizophrenie – Die Moderne und ihre psychische Krankheit». In: Zaumseil, Manfred/Klaus Leferink (Hg.), Schizophrenie in der Moderne - Modernisierung der Schizophre- nie. Lebensalltag, Identität und soziale Beziehungen von psychisch Kranken in der Großstadt, Bonn: Ed. Das Narrenschiff 1997, S. 27–81.
  • Morgenthaler, Walter (1918) Übergänge zwischen dem Zeichnen und Schreiben bei Geisteskranken. Zürich: Orell Füssli.
  • Morgenthaler, Walter (1921) Ein Geisteskranker als Künstler: Adolf Wölfli. Bern: Ernst Bircher.
  • Rorschach, Hermann (1913) «Analytische Bemerkungen über das Gemälde eines Schizophrenen». In: Zentralblatt für die Psychoanalyse und Psychotherapie Jg. 3, Heft 6/7, S. 270–273.
  • Simond, Clotilde (2004) Esthétique et schizophrénie. Paris: L’Harmattan.
  • Spielrein, Sabina (1987 [1911]) «Über den psychologischen Inhalt eines Falles von Schizophrenie». In: Sabina Spielrein II. Sämtliche Schriften. Hg. von Traute Hensch. Freiburg: Kore, S. 11–97.
  • Tagg, John (1988) The Burden of Representation – Essays on Photographies and Histories. Amherst: The University of Massachusetts Press.
  • Tausk, Victor (1919) «Über die Entstehung des ‹Beeinflussungsapparates› in der Schizophrenie». In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. 5, S. 1–33.

Weiterführende Informationen

PUK

Bilder der Psyche zwischen Ausstellung und Einsicht.

Oben: Patientin im Burghölzli Zürich, um 1910 (kein Vermerk zur Diagnose, Archiv Eugen Bleuler);
unten: Dream of a Rarebit Fiend, Edwin S. Porter, USA 1906.